Gedanken zum Predigttext
In letzter Zeit, wenn Lisa abends zur Ruhe kommen wollte, nahm sie sich die Bibel aus dem kleinen Bücherregal im Wohnzimmer. Die vielen Geschichten rund um die Entstehung der ersten Gemeinden und von den Wundertaten Jesu fesselten sie. Früher war das anders gewesen, aber im Sommer war ihr die Bibel beim Putzen im wahrsten Sinne des Wortes vor die Füße gefallen. Lisa hatte das Buch hochgehoben und einen Blick auf die aufgeschlagene Seite geworfen und einfach gelesen. Seitdem war das Lesen in der Bibel ein abendliches Ritual geworden. Und auch jetzt schlug Lisa die Bibel auf. Am oberen Rand der Seite stand „Johannes“. Ihr Augen wanderten auf den Bibeltext. Heute würde sie im Johannesevangelium das zweite Kapitel lesen.
Am dritten Tag wurde in Kana in Galiläa eine Hochzeit gefeiert. Die Mutter von Jesus war dabei, und auch Jesus war mit seinen Jüngern dazu eingeladen.
Lisa blieb mit ihren Gedanken hängen. „Wann habe ich zuletzt eine Hochzeit besuchen können?“, fragte sie sich. Das Corona-Virus hatte im letzten Jahr dafür gesorgt, dass einige ihrer Freundinnen ihre Hochzeiten hatten verschieben müssen. Das Corona-Virus hatte die Menschheit im Griff. Lisa wurde wehmütig. „Wie schön wäre es, wenn alles wieder seinen normalen Gang gehen könne. Wenn man wieder ausgelassen feiern und das Leben in vollen Zügen genießen könnte.“ Lisa las weiter. Der Text war ihr nicht bekannt und sie wollte wissen, wie es mit der Hochzeit nun weitergehe.
Als der Weinvorrat zu Ende war, sagte seine Mutter zu ihm: »Sie haben keinen Wein mehr!«
Lisa schmunzelte. So etwas ähnliches hatte sie auf der Hochzeit ihres Bruders auch erlebt. Anstelle des Weins war auf der Hochzeit ihres Bruders das Bier ausgegangen. Ziemlich früh. Alle Hochzeitsgäste hatten ausgelassen gefeiert und das Wetter hatte auch sein Übrigens an dem Bierverbrauch beigetragen. Draußen waren es 30 Grad gewesen. Mitten im Mai. Und kurz nach dem Abendessen war das Bier leer gewesen. Lisa konnte sich noch ganz genau daran erinnern, wie unangenehm das für ihren Bruder und ihre Schwägerin gewesen war. Zum Glück waren die beiden mit dem örtlichen Getränkehändler befreundet, so dass dieser schnell Nachschub brachte. Leichte Panik war bei den beiden dennoch aufgekommen. Lisa konnte sich vorstellen, dass das in Kanaan nicht so einfach war mit dem Nachschub holen. Schließlich war die Weinherstellung vermutlich zur damaligen Zeit schwieriger als heute. Und die Besorgung von Wein erstrecht. Und in der Aussage „Sie haben keinen Wein mehr“ schwang Verzweiflung mit.
Jesus erwiderte ihr: »Frau, das ist meine Sache, nicht deine! Meine Stunde ist noch nicht gekommen.« Da wandte sich seine Mutter an die Diener und sagte: »Tut alles, was er euch befiehlt!« Im Haus standen sechs Wasserkrüge aus Stein, von denen jeder etwa hundert Liter fasste. Man brauchte sie wegen der Reinigung, die das Gesetz vorschreibt. Jesus sagte zu den Dienern: »Füllt diese Krüge mit Wasser!« Sie füllten sie bis an den Rand. Dann befahl er ihnen: »Jetzt nehmt eine Probe davon und bringt sie dem Mann, der für das Festessen verantwortlich ist.« Sie brachten ihm eine Probe, und er kostete das Wasser, das zu Wein geworden war.
„Na nu“, dachte Lisa. „Jesus ist aber ganz schön schroff zu seiner Mutter.“ Irgendwie passte das nicht so ganz in das Bild, was Lisa bisher von Jesus hatte. Immerhin war er sonst immer als liebevoll und den Menschen zugewandt vorgestellt worden. Und nun wirkt er alles andere als das. Fast schon pubertär. So hätte Lisa mit ihrer Mutter niemals sprechen dürfen. Es schien so, als würde weder Maria noch das Weinproblem Jesus irgendwie interessieren. Lisa blickte erneut auf die große 2, welche zu Beginn der Erzählung stand. „Wenn wir uns erst im Kapitel 2 befinden, steht Jesus vielleicht noch am Beginn seines Wirkens“, dachte sie. „Vielleicht ist auch Jesus mit der Situation überfordert oder er weiß, dass noch Größeres auf ihn wartet als das Weinproblem“, philosophierte Lisa weiter. Warum Jesus sich trotzdem um den fehlenden Wein kümmert, war Lisa dabei allerdings nicht ganz klar. Dennoch konnte der Glaube der Mutter an seine Fähigkeiten und Barmherzigkeit dabei eine entscheidende Rolle gespielt haben. Schließlich hatte der Glaube ihrer Mutter auch Lisa in ihren Fähigkeiten bestärkt. Manchmal kam sie während ihrer Schulzeit traurig und verzweifelt nach Hause, weil sie nicht so gut Malen und Sticken konnte, wie die anderen Mädchen in ihrer Klasse. Da hatten die aufbauenden Worte ihrer Mutter immer geholfen und beim nächsten Mal hatte es mit dem Motiv gut geklappt. Vielleicht war das bei Jesus ähnlich gewesen. Nach den Worten seiner Mutter hilft Jesus und verwandelt Wasser in Wein. „Wer kann das schon?“, dachte Lisa. „Das kann ja nur ein Wunder sein.“ Wundergeschichten fand Lisa immer spannend, da sich in ihnen Gott den Menschen zeigt. Sie halfen ihr, den eigenen Glauben zu stärken und auf Gott zu vertrauen. Gerade in dieser schwierigen Situation der Corona-Pandemie. Lisa schlug die Bibel zusammen und stellte sie zurück in das Bücherregal. Sie war schon ganz gespannt, welche Geschichte sie Morgen lesen würde.
Vikarin Vanessa Bethe
Vikarin Vanessa Bethe